Klettern in den Wendenstöcken
Verfasser: Thomas Kostial
Groß, ausgesetzt, steil. Das sind die drei wichtigsten Eigenschaften dieser Felswände über der Sustenpass-Straße.
In den riesigen, geschlossene Wandfluchten, befinden sich lange, anspruchsvolle Kletterrouten vor einer großartigen Alpenkulisse. Für viele sportlichen Kletterer ist dieses alpine Gebiet das Kletterparadies.
DER PLAN
Diesmal ging es jedoch mit Manuel in die Alpen. Natürlich sollte es etwas Leichtes, Schönes zum Einklettern geben. Die hochgelebte Route „Sonnenkönig“ wurde ausgewählt: Eine Seillänge 7+, der Rest leichter – so etwas genügt für den Anfang der Alpinkarriere.
DER ZUSTIEG
Vom Parkplatz aus sehen wir kleine rote Punkte am Einstieg „Unserer“ Route. Kein Problem – wenn wir in zwei Stunden dort oben mit dem Klettern beginnen, ist diese Seilschaft schon 5 Seillängen weiter. Der steile Zustieg mit dem vielen Geröll, der abgestürzten Wasserflasche, der ungeplanten Überquerung eines Schneefeldes und dem Steilgras machten uns nicht stärker und glücklicher Endlich am Wandfuß angekommen stehen schon einige Seilschaften an den Toptouren an. Die erste richtige Schönwetterphase im Berner Oberland hatte nicht nur uns hierher gelockt.
DER ABSTIEG
Am letzten Standplatz erwischt uns noch der obligatorische Wendennebel. Er hüllt schon den ganzen Gipfelkopf ein und drückt nach unten. Es wird kalt und feucht. Nun schnell wieder über die Route Abseilen – aber immer mit der gebotenen Vorsicht. Denn dabei kann noch einiges passieren: Seil Verhängen, Stand nicht finden, Steinschlag beim Abziehen etc. Immer kurz unter den Wolken geht die Abseilfahrt entlang. Eine Länge ist so überhängend, dass ich wieder die Bohrhaken der Route einhängen muss, um den Stand zu erreichen. Für Manuel ist das auch nicht mehr lustig. 200 Meter über Grund muss er Fünf-Meter- Pendler bis zum Stand hinlegen. Das zehrt ganz schön an den Nerven. Die nächste Abseillänge ist für 45 Meter komplett freihängend. Aber auch dort erreichen wir wieder einen Stand. Nach einer Stunde Abseilen haben wir den Einstieg endlich erreicht. Die nächsten zwei Stunden Abstieg über das Steilgras, das Schneefeld und das Geröll machen uns nicht stärker aber glücklicher. Am Auto angekommen sind wir froh, alles heil überstanden zu haben.
FAZIT
Ein paar Restverletzungen von der Tor- Tour hatten wir noch eine Weile:
Muskelkater vom Wandern
Sonnenbrand auf den Waden und im Gesicht
Verblendete Augen [Manu war ohne Sonnenbrille unterwegs]
Manuel - Nie wieder Wendenstöcke!
Kosti - Zehn Tage später hing ich mit Peter seit langem wieder mal in den Routen der Wendenstöcke herum.
DIE ROUTE
Die roten Punkte in „Unserer Route“ sind immer noch nicht über die zweite Länge hinausgekommen. Zu allem Überfluss fangen sie mit Abseilen, Herumpendeln und anderen undurchsichtigen Seilmanövern an. Dort können wir uns jedenfalls nicht anstellen, sonst kommen wir heute nicht mehr zum Klettern. Lieber eine andere Tour machen, es gibt ja genügend! Leider sind alle anderen gleich schwerer. „Ihr klettert doch gerne überhängend, dann müsst ihr die „Voie du frere“ machen“, so der Tipp von ein paar Schweizern vor ein paar Tagen im Klettergarten in Interlaken. „Ihr seid doch fit“! Mehrere Längen 7 und 7+ und eine Schlüssellänge 8- erwarten uns nach dieser Planänderung. Na dann viel Spaß! Nach einer ziemlich harten 50-Meter!-Einstiegslänge in seichten Wasserrillen steilt die Wand auf und man erkennt nur noch Überhänge. Die Hälfte der Tour ist überhängende, der Rest immerhin noch steile, technisch anspruchsvolle Kletterei. Länge für Länge mogeln wir uns durch griffige Überhänge und über glatte Platten. Ich darf alles vorsteigen und so kommen wir zügig voran. Das ist auch nötig, denn ab Mittag setzt hier oft Nebel ein und es wird dann ungemütlich.
In der 7. Seillänge erleben wir noch ein bedrohliches Naturschauspiel der Extraklasse. In der Schlucht zum Mähren gibt es immer wieder mal leichten Steinschlag – für uns nicht gefährlich. Diesmal jedoch rumpelt es ziemlich laut. Hundert Meter links von uns saust ein mehrere Kubikmeter großer Pfeiler zu Tale und schlägt wie ein Geschoss auf dem Grashang ein. Keiner der anwesenden Schweizer hatte hier so etwas schon mal erlebt. Die Stimmung wird nicht lockerer, aber unsere Tour ist ja steinschlagfrei. Die 8. Seillänge mit der Hauptschwierigkeit 8- (sächsisch 9a) klappt auch on-sight. Nun steht dem Durchstieg nichts mehr im Wege. Die Tour endet schließlich auf einem markanten Schotterband in 300 Metern Höhe
INTRO
Groß, ausgesetzt, steil. Das sind die drei wichtigsten Eigenschaften dieser Felswände über der Sustenpass-Straße.
In den riesigen, geschlossene Wandfluchten, befinden sich lange, anspruchsvolle Kletterrouten vor einer großartigen Alpenkulisse. Für viele sportlichen Kletterer ist dieses alpine Gebiet das Kletterparadies. Es ist aber ein Paradies mit sehr anstrengendem Beigeschmack.
800 Höhenmeter Zustieg bis zur Wand müssen in knapp zwei schweißtreibenden Stunden bewältigt werden. Die letzten 300 Höhenmeter des Zustieges sind in fast allen Sektoren extrem heikel. Steilgras mit 60°Neigung und ebenso steile Felsterrassen mit Kletterstellen (bis II) verzeihen keinen Trittfehler. Am Einstieg angelangt, ist man schon so fertig wie nach einer Tageswanderung.
Jetzt geht es aber erst richtig los. Oft 10, manchmal bis zu 16 Seillängen sind nun zu Klettern und wieder Abzuseilen. Bei den vier leichtesten Touren des Gebietes sollte man dem 7. Grad UIAA (sächsisch 8b) gewachsen sein. Der Großteil der Touren verlangt den 8. bis unteren 9. Grad UIAA (sächsisch 9b bis 10a). Die Sicherung ist nie übertrieben dicht (außer an extrem schweren Stellen). Meistens müssen 10-12 Expressschlingen und ein kleiner Satz Keile und Friends zur Absicherung ausreichen. Bei einigen Seillängen gibt es Runouts bis zu 15 Metern.
Mit meinem Seilpartner Peter war ich in den letzten Jahren öfters in diesen Wänden unterwegs. Wir konnten viele schöne Touren begehen. Zum Beispiel: Caminando, Nachtexpress, Blaue Lagune, Elefantenohr, Legacy, Lanzelot – alles Routen im 8. und 9. Grad.